Deutschland wird immer dümmer?

Zumindest wenn man Herrn Sarrazin glauben will, scheint dem so zu sein. Der leistet sich nun so manche Entgleisung, aber ich glaube ja, dass er sehr genau weiß, wovon er redet. Auch wenn man manchmal den Eindruck hat, dass er das nicht tut. Und vielleicht hat er nur einfach kein Talent, die Dinge so zu formulieren, dass er damit nicht jeden vor den Kopf stößt.

Was auch immer, was er da gesagt hat, ist zum Teil durchaus überdenkenswert. Abgesehen natürlich von der Wortwahl, die wohl kaum „nachahmenswert“ ist, wie unsere Kanzlerin so lapidar meinte. Tatsache ist, dass die Zuwanderung uns nicht unbedingt, was ja wünschenswert wäre, mit ausreichend Facharbeitern versorgt. Tatsache ist aber auch, dass das nicht nur an den Zuwanderern liegt. Andere Länder, wie die USA, schaffen es ja auch, sich entsprechendes Wissens ins Land zu holen, weil man da nicht nur Eliten aus anderen Ländern gerne willkommen heißt, sondern ihnen auch den Start erleichtert, anstatt ihn so schwer wie möglich zu machen.

Hier aber erlebt man in dieser Hinsicht so manch negative Überraschung. Vor mehreren Jahren haben wir in unserer Firma eine Kollegin aus Brasilien begrüßen dürfen. Die musste dann natürlich deutsch lernen. Bei uns konnte sie trotzdem arbeiten, weil wir ein internationales Unternehmen sind, kommt man da auch mit englisch sehr weit. Und das konnte sie fließend. Sie traf im Deutschkurs auch andere Brasilianerinnen, die auch des Berufs wegen nach Deutschland gekommen waren. Die hatten nun ihre Partner dabei. Und mussten schon nach wenigen Jahren ihren Job in Deutschland aufgeben, denn der Partner sah sich nicht in der Lage, hier eine Arbeit zu finden.

Das lag nun nicht etwa an mangelnder Qualifikation einer von ihnen ist heute erfolgreicher Unternehmensberater in Brasilien, der andere leitet gar eine Niederlassung einer deutschen Firma in Sao Paulo, denn deutsch hat er sehr wohl gelernt, was seine Chancen in der Heimat sehr verbessert hat. Hier hingegen, kam er trotz ausgezeichneter Zeugnisse und der nötigen Sprachkenntnisse (portugiesisch und deutsch fließend) einfach nicht zum Zug. Lieber ließen die Firmen Stellen unbesetzt, als sich den Stress anzutun, für die Behörden eine Begründung zu liefern, warum das kein deutscher Mitarbeiter machen kann. Wo doch eigentlich die Facharbeiter fehlen. Und obwohl man doch sichtlich Schwierigkeiten hatte, die Stelle mit geeigneten Bewerbern aus Deutschland zu besetzen, das reichte wohl als Begründung nicht aus.

Hier in Deutschland, haben ihm also all seine Diplome nicht geholfen. Und das ist ein Drama, das man immer wieder beobachten kann, egal ob qualifizierte Bewerber aus anderen Ländern jetzt aus eigenem Antrieb oder wegen der beruflichen Versetzung des Partners nach Deutschland kommen. Oder gar wegen Heirat. Tatsache ist in allen Fällen, dass Abschlüsse aus dem Heimatland hier in Deutschland nicht anerkannt werden. Und die Zuwanderer, die nicht zu einer „Verdummung“ (welch menschenverachtende Wortwahl) beitragen würden, mitsamt ihren ebenfalls alles andere als „dummen“ Partnerinnen gleich wieder aus Deutschland hinauskomplimentiert.

Worauf man da so stolz ist, wissen wohl nur die verantwortlichen Politiker allein. Denn dass die eigenen Absolventen im internationalen Vergleich seit Jahren immer schlechter abschneiden, das weiß man nicht erst seit Pisa. Seit ebenda hat man es aber immerhin bemerkt. Was aber nicht dazu geführt hat, dass man die Abschlüsse aus anderen Ländern hier höher bewertet.

Mit Ausnahme der Abschlüsse, die so gerne als „Masterstudiengang“ bezeichnet werden. Dass der Deutschland rettet, scheint jeder zu glauben. Aber nur, weil man dann auch deutschen Nachwuchs erzeugt, der schon den richtigen Abschluss für das Ausland hat. Nicht etwa umgekehrt, die werden nach wie vor in Deutschland nur in Ausnahmefällen anerkannt. Und da muss man sich dann nicht wundern, dass es viele hochqualifizierte Zuwanderer aus anderen Ländern gibt, die sich dann hier als Putzfrau verdingen. Etwas anderes traut man denen nicht zu. Oder sie gehen halt wieder nach Hause, was unsere Situation aber nicht verbessert.

Ebenso wenig verständlich ist dieses Verhalten gerade auch vor dem Hintergrund, dass deutsche Unternehmen immer lauter den Mangel an Facharbeitern beklagen. Wenn man schon keine eigenen hat, warum will man dann partout keine aus anderen Ländern akzeptieren? Zumal die oft die für deutsche Arbeitgeber wesentlich angenehmere Einstellung haben. Wegen Überstunden und 60-Stunden-Wochen habe ich einen Brasilianer jedenfalls noch nie motzen hören. Und mir sind Unternehmen bekannt, die heute lieber Brasilianer nach Deutschland holen, um sie zwei Jahre lang zur Führungskraft auszubilden und sie wieder nach Hause zu schicken, natürlich in entsprechende Positionen, als gar eigene Manager aus Deutschland dorthin zu schicken. Das hat nicht nur mit deren Eignung zu tun, sondern oft auch damit, dass viele nicht bereit sind, im Ausland längere Zeit zu bleiben. Und das auch, weil die Partnerin nicht bereit ist, das länger als zwei Jahre mitzumachen. Die Reaktion der Firmen ist in dieser Hinsicht also durchaus verständlich. In umgekehrter, nämlich der Frage, warum man jemanden aus Brasilien, bei vorhandener Qualifikation und festgestelltem Fachkräftemangel, hier nicht einsetzen will oder kann, aber absolut nicht.

Haben wir also tatsächlich den Weg zur Verdummung bereits eingeschlagen? Angesichts des Mangels an Facharbeitern und der Tatsache, dass um die Verbliebenen ein Hauen und Stechen entbrennt, was man sicher bestätigen kann, wenn man in einschlägiger Position tätig ist, weil man von Headhuntern gejagt wird, könnte man das fast glauben. Wie viel davon aber eher durch die politischen Hürden und die nicht vorhandene Flexibilität qualifizierten ausländischen Arbeitskräften gegenüber bedingt ist, kann man so auch nicht beantworten.

Wenn dem so ist, dann haben aber gerade Politiker wie Herr Sarrazin mit seiner Einwandererunfreundlichen Politik ihren Anteil daran.

Aber es ist natürlich viel bequemer, die Schuld daran dem Pöbel zu geben. Und der Zeitpunkt ist nicht mal ungeschickt gewählt, denn der Pöbel hat ja mit „Brot und Spielen“, sprich der Fußball-WM, nun genug zu tun. Da kann man nur hoffen, dass es keiner mit kriegt.

Ups, schon passiert …

Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,700031,00.html