Wahlversprechen sind dazu da, dass man sie einhält. Das wäre schön, denkt sich so manch einer, wenn er sieht, was denn oft in Wahrheit passiert. Auch diesmal geht es um Wahrheit und Wahlversprechen und darum, wie man diese bricht.
Jedenfalls nicht so, wie das in Hessen passiert. Da ist eine Frau Ypsilanti, die im Wahlkampf noch behauptet hat, nichts liege ihr oder ihrer Partei ferner, als mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Nun muss man sich ohnehin fragen, wo sich die beiden Parteien überhaupt noch abgrenzen. Im Programm jedenfalls nur unwesentlich, allenfalls kann man sagen, dass die SPD ein gutes Stück Staatsmännischer sein sollte, wenn sie denn schon Verantwortung in diesem Land hatte.
Aber grau ist alle Theorie.
Zumindest das hat auch Frau Ypsilanti zu spüren bekommen.
Die Fakten: SPD und Grüne haben sich auf einen Koalitionsvertrag für eine hessische Minderheitsregierung geeinigt. Nun hilft das nicht so viel, wenn man nicht wenigstens ab und zu mal die Mehrheit hat, deswegen wollte man sich mit der Linkspartei auf eine Tolerierung einigen. Dafür gab es einen Katalog an Regeln. Und den haben die beteiligten Parteien beschlossen. Herr Koch hat sich das weitgehend ruhig angeschaut, was bleibt ihm in seiner Position auch übrig.
Nun wollte sich Frau Ypsilanti mit den Stimmen der eigenen Fraktion, der Grünen und der Linken zur Ministerpräsidentin wählen lassen und damit das schon recht lang anhaltende Possenspiel in Hessen beenden. Aber es sollte anders kommen.
Vier so bezeichnete „Abweichler“ von der SPD-Direktive machen nicht mit. Vielleicht haben sie ihr Gewissen recht spät entdeckt, aber immerhin sie haben gemerkt, dass man den Wähler vielleicht doch nicht gar so schamlos belügen sollte. Und damit sind sie – evolutionär betrachtet – immerhin viel weiter, als der Rest der Partei, die sich ans Ja- Sagen anscheinend schon sehr gewöhnt hat in dieser Ypsilanti-Fraktion.
Schlimm für die SPD erscheint, dass zumindest drei der vier bisher brav mitgegangen sind und gemacht haben, was Frau Ypsilanti so wollte, auch gegen das eigene Gewissen.
Was ich mich dabei frage: glaubt eigentlich wirklich einer, dass die vier nicht sehr genau wissen, was ihre Entscheidung für sie persönlich bedeutet? Sie haben soeben ihre politischen Karrieren beerdigt, sich sozusagen selber den Gnadenschuss auf politischer Bühne gesetzt.
Sehen so Verräter aus? Abweichler, Heckenschützen wurden sie genannt, nicht nur von der eigenen Partei, sondern auch vom hessichen Rundfunk, die diese Wortwahl weitgehend ungefiltert übernahmen. Einen Putsch hätten sie durchgeführt, es wären „vier Menschen“, die „kurz vor knapp ihr Gewissen entdeckt haben“.
Wie selbstentlarvend solches Gerede doch eigentlich ist. Denn es bedeutet ja eigentlich nichts anderes, als dass diese vier stellvertretend für den Rest doch noch gemerkt haben, was Gewissen und Verantwortung eigentlich bedeuten. Die anderen, die ihnen das vorwerfen, haben halt ihr Gewissen nicht entdeckt. Und jetzt werfen sie das denjenigen vor, die das ihre entdeckt haben. Wie Gehirn-gewaschen ist die SPD Hessens eigentlich?
Und der hr gleich noch dazu? Denn der redet, als wäre er das offizielle Parteiorgan der Hessen-SPD. Da hätte man sich wirklich eine gewisse Distanz gewünscht.
Und jetzt stehen wir vor einer spannenden Situation und ich finde es ehrlich gesagt klasse. Endlich kommt mal Leben in diesen verstaubten Politikerladen, endlich sieht man mal Politiker von ihrer „besten“ Seite. Ungekünstelt und fast schon ehrlich, wie zum Beispiel den stellvertretende Linksparteichef Klaus Ernst, der den vier „Wahlbetrug“ vorwirft. Ach so, Wahlbetrug nennt man das jetzt, wenn man seine eigene Meinung nicht nur hat, sondern auch vertritt? Gut, dass wenigstens Müntefering den Schuss knallen gehört hat, sonst müsste einem ernsthaft bange um die SPD sein. Für die in Hessen ist es allerdings vielleicht doch schon zu spät.
Aber das mag man kaum noch bedauern, wenn man sieht, wie die sich verhalten.
Was ist denn eigentlich Demokratie? Beschränkt es sich wirklich drauf, klare Wahlaussagen zu machen, dann hinterher sich nicht mehr dran gebunden zu fühlen und von den eigenen Anhängern zu verlangen, diesen klaren Verrat am Wähler auch noch mitzumachen? Schön, dass die SPD dafür abgewatscht wird. Interessant, auf welche Weise das passiert. Noch interessanter, was der Wähler bei Neuwahlen sagen wird mit dem Wissen im Hinterkopf, wie sehr man sich auf die Aussagen der Frau Ypsilanti verlassen kann. Wenn die SPD konsequent ist, dann schicken sie Frau Ypsilanti noch mal an die Front. Könnte ein „historisches“ Ergebnis werden, das passt ja auch irgendwie in die Zeit.
Oder sie haben eine richtig gute Idee in Hessen. Und nehmen einfach einen von den „Abweichlern“. Denn die könnten in der Bevölkerung jetzt ja eigentlich viel besser ankommen, wer weiß das schon? Schade, dass die SPD in Hessen sicher nicht den Mut haben wird das auszuprobieren.
Aber um so schöner, dass nun auch der Wähler Gelegenheit erhalten wird, den „Verrätern“ zu zeigen, was man von Verrat so hält.
Also, dem Verrat am Wähler natürlich.
Und was nachdenklich stimmt – das alles interessiert eigentlich keinen so wirklich, denn die Schlagzeilen beherrschen derzeit andere. Und die sind weit weg, in den USA, wo soeben wirklich Geschichte geschrieben wurde.
Aber da war die SPD in Hessen natürlich nicht dabei. Die mussten noch ihren Kater auskurieren.