Rede des Bundespräsidenten zu „60 Jahre Bundespressekonferenz“

Gerade gelesen:

http://www.bundespraesident.de/Reden-und-Interviews-,11057.658093/Ansprache-von-Bundespraesident.htm?global.back=/-%2c11057%2c0/Reden-und-Interviews.htm%3flink%3dbpr_liste

Eine durchaus beeindruckende Rede, die Herr Köhler da hält. Vor allem an den Stellen, an denen er den anwesenden Journalisten den Spiegel vorhält und ihnen sagt, was an dem, was sie als Argumenten vorbringen eigentlich nicht stimmt.

Insbesondere folgende Stellen, fand ich bemerkenswert:

Sie starren gebannt auf sinkende Auflagen und einbrechende Werbebuchungen, und alles, was ihnen zur Abwehr einfällt, sind noch mehr Drama, noch mehr Personalisierung, noch mehr zur Schau gestellte Distanzierung von der Welt der Politik. Ich glaube, es gibt einen anderen Weg, und ich bin froh, dass er aufgezeigt wird von Leuten aus der Branche selbst. Hören Sie mal, was der Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung neulich zu sagen hatte: „Bei der Besinnung auf den eigentlichen Auftrag hilft uns das, was viele als Nachteil eines Verlags sehen: Zeitungen sind Wirtschaftsunternehmen, wenn auch besondere. Dies ist ein Vorteil: Wir müssen uns um unsere Leser kümmern, müssen ihre Bedürfnisse spüren und befriedigen – was wenig mit Populismus zu tun hat.“

Ja interessant, das kommt aus einer Richtung, mit der man gar nicht gerechnet hat. Da wird den Journalisten doch tatsächlich vom Bundespräsidenten höchstpersönlich gesagt, was sie eigentlich selbst schon wußten (nur irgendwie verdrängt haben, oder so). Nämlich, dass Qualitätsjournalismus sich nicht darin zeigt, dass man alle Nachrichten, wichtig oder nicht, in seinem Blatt versammelt hat. Sondern dass man dabei den Leser nicht aus dem Blick verliert. Wenn man nicht mehr versteht, was der Leser will, dann muss man sich nicht wundern, dass der nichts mehr von einem wissen will.

Was aber will denn der Leser eigentlich? Horst Köhler beantwortet das zunächst damit, dass er beschreibt, was Qualitätsjournalismus ist (oder vielleicht auch nicht ist):

Wer sagt, kommerzielle Zwänge führen zwangsläufig zu Qualitätseinbußen, der sagt im Umkehrschluss: Geld bestimmt die Qualität der Presse.

Interessanter Ansatz. Also Journalisten, die nicht nach dem Geld schielen, sondern nach dem Leser:

Der Bedarf Ihrer Leserinnen und Leser, Ihrer Zuschauerinnen und Zuschauer an Aufklärung ist riesig, und wer diese Ware in hoher und haltbarer Qualität anbietet, der liefert mehr als Bildung und Mündigkeit und Urteilsfähigkeit für den einzelnen, so wichtig die auch sind; der bietet die praktische Gebrauchsanweisung zum Demokratisch-Sein, der macht den Leuten klar, was sie gemeinsam stemmen können, und wie viel Kraft und Kreativität entsteht, wenn freie Menschen ihre Möglichkeiten entdecken und gemeinsam nutzen.

Ob die Medien in ihrer jetzigen Form tatsächlich die Kraft dazu haben, darf allerdings bezweifelt werden. Horst Köhler meint, dass diese Zeit eigentlich ideal für einen Journalisten ist, weil sie einerseits noch nie so kompliziert war, wie heute, andererseits aber eben deswegen auch so viel Raum bietet, um sie sich erklären zu lassen. So viele Möglichkeiten bietet, dazuzulernen. Und da hat er Recht. Warum viele dieser Medien das nicht nutzen, ist absolut unverständlich.

Man sah das sehr schön am zurückliegenden Wahlkampf. Denn auch die Herren Journalisten hatten nur im Kopf, was die Frau Gesundheitsministerin mit ihrem Dienstwagen in Spanien gemacht hat. Dazu hat, wie auch Horst Köhler ankreidet, jeder der Journalisten seine Meinung. Aber was ist, wenn man Stellung zur aktuellen Gesundheitspolitik beziehen soll? Da wissen viele nicht einmal, was die Position der Gesundheitsministerin ist. Geschweige denn, dass sie ein Urteil darüber abgeben könne, auch vor dem Hintergrund, dass es gerade um die Bezahlbarkeit des Gesundheitswesens geht. Inwiefern daran die Kosten schuld sind oder ob es wirklich die Selbsbedienungsmentalität ist oder vielleicht sogar beides, darauf geht auch Horst Köhler nicht ein. Aber das war auch nicht das Ziel, es ging eher um grundsätzliches, und das ist schon ein grundlegendes Problem. Warum ist der Dienstwagen von Frau Schmidt in Spanien wichtiger, als ihre Position im Gesundheitswesen?

Vielleicht ja, wie Horst Köhler vermutet, weil die  Journalisten einfach keine andere Antwort auf ihren Niedergang finden. Aber warum eigentlich nicht? Es liegt doch eigentlich  nahe. Immerhin traut Horst Köhler den Lesern mehr zu:

Mir fiel zum Beispiel auf, wie viele von Ihnen sich einig waren in der Beurteilung des zurückliegenden Wahlkampfs. Ich hege da einen schlimmen Verdacht: Ich glaube, vielen von denen in den Medien, die vorgeblich im Namen der Demokratie und im Kampf gegen die Politikverdrossenheit nach mehr Schärfe, mehr Ideologie, mehr Angriff verlangten, denen ging es gar nicht um die Demokratie: Bestenfalls hatten sie Langeweile, und schlimmstenfalls vermissten sie etwas, womit sie ihre Quoten und Auflagen steigern wollten. Und wissen Sie was? Ich glaube, viele Leute da draußen haben das durchschaut.

Ja, das kann man nur hoffen. Vermutlich ist es aber tatsächlich so, dass die Leser viel mehr verstehen, als die Journalisten ihnen zutrauen. Und es ist sicher, wie Horst Köhler schreibt, keine gute Entwicklung, wenn Politik zu sehr mit Unterhaltung verwechselt wird. Oder auch Information, wie das Wörtchen „Infotainment“ ja auch nahelegt.

Interessant ist, aber dass es vor fast 60 Jahren ebenfalls schon mal eine Krise gab. Was Studnitz (zitiert von Horst Köhler) dazu sagte, klingt eigentlich sehr aktuell:

„Die Absatzkrise der deutsche Tagespresse ist in Wirklichkeit eine Revolte des Zeitungslesers gegen Zeitungen, die seine geistigen Bedürfnisse nicht mehr kennen, weil sie ihn für dümmer halten, als er tatsächlich ist. Das Publikum will heute unterhalten oder gebildet, in jedem Fall aber informiert werden. Verleger und Redaktionen sollten innere Einkehr halten. Und sie werden verstehen, dass am Anfang der deutschen Pressekrise die Qualitätskrise steht; die sinkende Leistung so vieler Zeitungen, die es zuwege gebracht haben, dass das Publikum sich mit ihnen langweilt, statt anzuregen. Die Zeit für eine innere Reform der deutschen Presse, einen Prozess der Selbstreinigung, ist überreif.“

Genau. Das einzige, was sich wohl geändert hat: Es geht heute viel schneller. Deswegen sollte auch die Branche schnell reagieren. Sonst wird sie sich bald sehr wundern, wenn überhaupt keiner mehr was von den traditionellen Medien wissen will.