Senor Bene hat ein Boot in Paraty, das er auch an Touristen vermietet. Senor Bene ist schwer einzuschätzen, sicher schon um die siebzig, aber man sieht es ihm nicht so an. Sein Körper ist noch sehr kräftig, auch wenn er auf den ersten Blick nicht so wirkt. Das sieht man erst, wenn er den Anker lichtet, dann schwellen die Muskelberge. Oder wenn er den zwanzig Jahre alten Diesel startet, wofür er eine Handkurbel benötigt. Der alte Motor leistet enormen Widerstand, bevor er dann doch stotternd anspringt.
Als ich das Schiff betrete, ist mir nicht ganz wohl. So ganz geheuer, ist mir das Boot nicht, auch wenn es relativ frisch gestrichen erscheint. Blau, gelb und rot sind die Farben, die an dem alten Schiff vorherrschen. Es hat ein Dach, so dass man nicht der prallen Sonne ausgesetzt ist, für meine empfindliche Haut ein gewaltiger Vorteil.
Senor Bene haben wir gestern Abend quasi kennen gelernt. Genau genommen, waren es zwei Einwohner Paratys, die wir kennen gelernt haben. Sie sassen am Strand, tranken Saft und Bier und genossen den Abend, ähnlich wie wir. Der Strand war schön, das Wasser allerdings etwas schmutzig und der Sand ziemlich steinig. Unweit des Strands gibt es ein Riff, so dass man nur einige Zentimeter unter Wasser ist, Schiffe können da nicht fahren. Dafür kann man ziemlich weit hinauslaufen ins Wasser.
Als wir gemütlich am Strand sitzen und kühles Bier genießen, kommt ein Mann zu uns. Er ist barfuss und redet sofort los, er lallt leicht, erzählt uns irgendeine Geschichte von den Schuhen, die ihm irgendwie abhanden gekommen wären. Er steht ausgerechnet an dem Stuhl, auf dem die Taschen stehen, geöffnet, so dass er sehen kann, was darin ist. Auf dem Tisch liegt die Videokamera neben einem Digitalfotoapparat. Meine Frau beginnt, nach dem Geldbeutel zu suchen, um den unerwünschten Besucher schnell loszuwerden, während ihr Bruder ihn lieber wegschicken würde. Und das Ehepaar hinter uns, mischt sich plötzlich ein. „Gebt ihm nichts“, meint die Frau. „Der kommt jeden Tag hier vorbei und erzählt meinem Mann eine andere komische Geschichte.“
„Gefährlich ist der nicht“, meint ihr Mann. „Nur fürchterlich langsam. Und vielleicht ein klein wenig betrunken.“
Ein Glück, denn so etwas kann hier schnell passieren. Brasilien ist immer noch kein vollkommen sicheres Land, auch nicht am Strand in einem Urlaubsparadies. Aber der Bittsteller verschwindet, macht sich davon, fragt nicht mal die nebenan, die haben ja mitbekommen, was er will. Viel weiter weg, erzählt er seine Geschichte erneut.
Das Ehepaar setzt sich zu uns. Sie heißt Solange, er Silvio. Sie erzählen von ihrem früheren Leben, dass sie Sao Paulo verlassen haben, weil Paraty so schön ist und dass sie jetzt nicht weit weg am Strand wohnen. Es ist nicht billig, in Paraty zu wohnen, erzählen sie, aber es ist einfach schön und die Luft, die Luft ist ja so viel besser, als in Sao Paulo.
Kein Wunder, eine Großstadt mit 22 Millionen Menschen in der Metropolregion und steigendem Strassenverkehr, da ist Paraty sicher die bessere Wahl.
Ein Boot hat er auch, erzählt der Mann. Und er beginnt, von Paraty zu erzählen. Er redet ziemlich viel, aber er ist auch witzig.
Viele Inseln gibt es in der Bay von Paraty, erzählt er. Wenn man da mit dem Boot rausfährt, dann muss man aufpassen, dass man nicht gegen eine der Inseln prallt, so viele sind da draußen, erzählt er. Man muss außerdem die Wasserstrassen gut kennen.
Er erzählt von dem Strand, an dem wir sind, deutet auf eine Stelle, an der sich die Wellen brechen, als wäre es schon direkt am Strand, aber viel weiter draußen. „Da ist Schaum auf den Wellen, woher kommt der?“ Das fragen ihn viele, die hier Urlaub machen, erzählt er. Nein, der Schaum ist da nicht, weil das Wasser so schmutzig ist. Er ist da, weil an dieser Stelle das Riff am höchsten ist, nur wenige Zentimeter Wassertiefe. Das hatte ich zuvor schon gemerkt, als ich auf dem Riff gestanden habe und mich gewundert habe, dass das Wasser so weit vom Strand entfernt überhaupt nicht tief ist.
Er erzählt von einer Stelle weiter drüben, wo die Boote liegen, die man zum paddeln vor dem Strand anmieten kann. Warum sind die alle nur hier, an der linken Seite des Strands? Weiter drüben sieht man tatsächlich keine. Vielleicht, weil die Fischer alle in den Hütten da hinten wohnen, fragt er schmunzelnd und meint, dass das die Meinung der Urlauber sei. Nein, auch das ist wegen dem Riff, nur hier ist das Wasser auch tief genug.
Und warum denn da drüben die herunterhängenden Büsche so gerade geschnitten seien? Ob es hier einen Frisör gibt, der die Büsche so schön schneidet? Nein, meint er wiederum schmunzelnd, das liegt daran, dass an dieser Stelle das Wasser am höchsten stand, das höchste Hochwasser Paratys.
So geht es den ganzen Abend weiter.
Und dann kommt das Gespräch auf unseren Ausflug am anderen Tag. Wir wollen mit einem Schiff in die Bay rausfahren und uns die Inselwelt anschauen, auch die Strände, die es hier sonst so noch gibt, wollen wir uns anschauen. Der Mann empfiehlt uns, lieber ein Schiff anzumieten und das mehr „privat“ zu machen. Er kennt da jemanden, einen alten Seefahrer, der ein Boot hat und sich in der Bay sehr gut auskennt. Er hat selbst von diesem Mann gelernt, mit dem Schiff in der Bay zu fahren. Alles hat er ihm beigebracht, was er wissen muss, wenn er mit dem Schiff rausfahren will. Er gibt uns eine Telefonnummer und der Bruder meiner Frau ruft an. Nach einiger Zeit, hat er tatsächlich den Herrn am Telefon. Für fünf Stunden, möchte er pro Stunde 30 Real haben, insgesamt also 150 Real. Das ist genauso lange, wie mit einem der großen Schiffe, nur hat man eben mehr davon.
Und es ist billiger, denn wir sind zu sechst, das bedeutet, zwei Personen zahlen 50 Real. Für das große Schiff, sind eher 80 pro Paar fällig. Also machen wir es, wir verabreden uns mit Senor Bene für den nächsten Tag, gegen 9:00 Uhr wollen wir uns treffen und auf die Bay hinaus fahren.
Das war dann gar nicht so einfach, denn die Anlegestelle musste erst mal gefunden werden. Als wir nachfragten, schickten sie uns um die ganze Altstadt herum. Am Ende waren wir Luftlinie 20 Meter von dem Ort entfernt, an dem wir gefragt hatten, aber schon um halb Paraty herum gefahren.
Ja, und dann standen wir vor dem Schiff und mussten da eintreten. Einen Steg gab es nicht, direkt auf den Vorbau des Schiffes musste man treten und dann unter das Dach. Erstaunlicherweise, hat das ohne Pannen geklappt und da sassen wir dann und blickten uns auf dem Schiff um. Unbehaglich war mir zumute, als ich das nicht mehr gerade moderne Schiff sah.
Als Senor Bene das Schiff in Gang setzte, ging es nur über den Pereque-Fluss hinüber, denn auf der anderen Seite warteten die beiden anderen aus Sao Paulo, Bekannte von Anas Bruder. Schon kam es zur ersten Panne, denn das Boot hatte natürlich keine Bremse. Bene deaktivierte den Motor, bevor er an der Anlegestelle ankam, aber nicht rechtzeitig genug. Wir krachten gegen die Anlegestelle, weil Bene nicht schnell genug nach vorne kam und erst über die Bordwand auf die Anlegestelle sprang, als es schon zu spät war. Aber nichts passiert, auch wenn Bene sich sehr geärgert hat.
Die beiden kamen an Bord und Bene aktivierte den alten Diesel erneut. Und jetzt ging es raus auf das Meer, in die „Bay“, weg von Paraty.
Irgendwie kam mir das so vor, als wären wir auf einem See in Österreich. So nahe am Strand, merkt man noch nicht, dass wir auf dem Meer sind. Und die Berge hinter den Hügeln direkt am Strand, sind gewaltig hoch, wie in den Alpen. Nur die Palmen, die man direkt am Strand sieht, sprechen dagegen. Nein, wir sind schon noch in Brasilien. Es ist warm, und das einen Tag vor Weihnachten, sicher über dreißig Grad. Wunderschönes Wetter, nein, das kann nicht in Österreich sein, nicht im Dezember.
Senor Bene zeigt uns ein paar schöne Sträne und strebt dann vom Land weg in Richtung der Inseln. Da sieht man dann, dass viele der Inseln in Privatbesitz sind. Da sind nämlich Häuser zu sehen. Auf einer der Inseln lebt angeblich ein Franzose, der eine Brasilianerin geheiratet hat, erzählt Senor Bene. Eine Insel hat er sich geleistet, der glückliche.
Etwas weiter dann eine Insel wie aus dem Urlaubskatalog. Die Basis besteht aus Felsen, oben drauf ist die Insel bewachsen. Wunderschön.
Und dann weiter hinaus, jetzt sieht man schon die Horizontlinie, wie man sie auf dem Meer erkennen kann, wir sind also jetzt schon auf dem Weg aus der Inselwelt hinaus. Aber man sieht immer noch weiter draus Inseln, und wir sind sicher schon eine Stunde auf dem Wasser.
Auf eine der Inseln tuckern wir jetzt zu. Ungeheuer entspannend ist das, wie wir da so auf der ziemlich glatten See unter der angenehmen Sonne dahingleiten, nur das Tuckern des Schiffsdiesels sorgt für Geräusche und das Wasser, das gegen den Rumpf des Bootes schlägt. Ich schlafe fast ein, als der Diesel plötzlich abstirbt.
Zuerst erschrecke ich, weil mir nicht so ganz klar ist, was das bedeuten soll. Funktioniert das alte Ding jetzt nicht mehr? Oh doch, es geht noch. Aber jetzt ankern wir, macht uns Senor Bene klar. Und wenn wir wollen, dann können wir jetzt schwimmen gehen.
Wir ankern vor einer Insel, die ebenfalls im Provatbesitz ist, aber außerhalb des abgesperrten Bereichs, darf man ankern. Und so beginnern wir damit, uns mit Sonnencreme einzureiben, denn die Sonne ist stark. Andres Freunde gehen über Bord, als erste, mit Taucherbrille und Schnorchel, und schauen sich die Unterwasserwelt an. Sie erzählen von vielen Fischen, die da unten unterwegs sind. Und Andre springt direkt vom Boot ins Wasser, während ich lieber erst mal die Leiter nehme. Es ist tief, aber das Wasser hat eine angenehm grünblaue Färbung. Darunter ist klarer Sand und etwas näher am Ufer sind ein paar dunkle Felsen zu erkennen. In dem kühlen Wasser zu schwimmen, ist herrlich.
Nach einiger Zeit kehren wir an Deck zurück. Die Leiter reicht nicht sonderlich tief ins Wasser, die unterste Stufe ist nur ein paar Zentimeter unter Wasser. Aber das genügt, obwohl ich mir nicht so ganz sicher bin, schaffe ich es ohne weiteres, aus dem Wasser zurückzukehren.
Wir fahren um die Insel herum an eine andere Stelle, da können wir noch mal schwimmen und jetzt leihe ich mir die Taucherbrille von Maiumi, einer japanisch-stämmigen Brasilianerin, die mit ihrem Mann ebenfalls in Paraty ein paar Tage Urlaub macht. Senor Bene wirft etwas Brot ins Wasser, die Fische sind richtig gierig, sie springen fast aus dem Wasser wieder heraus. An der Stelle sind auch noch andere Boote. Unter Wasser gibt es viele Fische, es ist immer noch angenehm kühl, obwohl die Sonne jetzt schon deutlich höher steht.
Als wir fertig sind, sehen wir die ersten großen Schiffe rausfahren. Die Rundfahrten dieser Schiffe beginnen erst gegen 11:00 Uhr und vermutlich geht es erst mal direkt zum Essen. Wir haben schon deutlich mehr erlebt, bevor es richtig heiß wurde.
Ja, und jetzt suchen wir auch ein Restaurant. Wir laufen einen Strand an, aber da ist niemand. Deshalb fahren wir wieder zurück zu einer der Inseln, die wir zuvor schon gesehen haben. An dieser legen wir an und jetzt wird es wieder spannend, denn wir müssen von dem Boot runter. Und die Anlegestelle liegt recht hoch. Aber es klappt, alle kommen von Bord. Durch den Wald, zwischen den Steinen, gehen wir zu dem kleinen Restaurant, nur eine Hütte, an der es aber richtig gute Sachen gibt. Neben herrlichen Riesengarnelen, gibt es auch Pommes und Fisch und außerdem „lula do rey“, Tintenfischringe, die wirklich ausgezeichnet schmecken. Teuer ist es allerdings, aber auf der Insel kann man natürlich schlecht woanders hingehen. Und wir sind ja im Urlaub …
Auch Toiletten gibt es auf der Insel, mit Meerwasserspülung. Ein Glück :-).
Ein kleiner Strand ist da und da liegen einige Jetskis, zusammen mit kleineren Booten. Herrlich, wie im Urlaubskatalog. Und dazu eine wunderbare Aussicht auf die weiter entfernt gelegenen Inseln, während wir genüsslich die Kostbarkeiten des Meeres genießen.
Nach dem Essen, geht es wieder zurück nach Paraty. Regen scheint aufzuziehen, aber eventuell will Senor Bene heute auch noch mit einer anderen Gruppe hinausfahren. Nach fast genau fünf Stunden, kommen wir wieder im Pereque-Fluss an. Und nutzen die Zeit, um uns die historische Innenstadt von Paraty anzuschauen und richtig Touristenmäßig ein paar Andenken einzukaufen, von denen es in den Läden der Stadt genug gibt.
Zum Abschluss des Tages, gehen wir dann noch in der Innenstadt von Paraty essen. Der 23. Dezember geht seinem Ende entgegen. Es war sicher der schönste Tag dieses Urlaubs und vielleicht sogar einer der schönsten Tage meines Lebens. Wer jemals nach Paraty kommt, sollte wirklich eine Bootsfahrt in die Inselwelt vor der Küste machen. Dort draußen zu schwimmen, ist einfach herrlich.
Am nächsten Tag schauen wir uns noch eine Fazenda in der Nähe an, bei der es einen schönen Wasserfall geben soll. Den finden wir zwar nicht, aber die Fazenda an sich ist schon ein Ereignis und dort durch die Wälder zu laufen, gibt einem ein Gefühl, als wäre man am Amazonas am Dschungel. Aber das ist sicher noch viel beeindruckender …
Und zum Abschluss, kurz vor der Heimfahrt am 24. Dezember, schauen wir uns noch den Strand von Trinidad an. Herrlich blaues Wasser und wunderschöner, weißer Sand, dazu Tintenfischringe und „camarau“, also Shrimps, die wir dort genießen. Nach ein, zwei Stunden an einem der schönsten Strände, den ich in Brasilien je sah, haben wir Paraty dann endgültig hinter uns gelassen.
Paraty war übrigens die erste Hauptstadt Brasiliens und liegt im Bundesstaat Rio de Janeiro, unweit von dieser großen Stadt entfernt.
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